Interview mit Dr. Markus Köck
Markus Köck befasst sich erstmals mit der Prominenz im Feld des Designs für den deutschsprachigen Raum und bietet einen Einblick in 13 Publikationen über einen Zeitraum von nahezu sechs Jahrzehnten sowie in seine Arbeit mit raren Quelltexten aus Finnland, Japan und den USA.
Wir benötigen nicht nur »eine Rückkehr zu anonymeren Design-Lösungen«, sondern auch mehr persönliche Unauffälligkeit. Wir müssen lernen, bescheidener zu sein und uns ab jetzt – nicht erst in Zukunft – damit zufrieden geben, genug im Sinne einer immer noch lebenswerten Zukunft aller getan zu haben. Wir müssen die aktuelle und zukünftige reale Ressourcenknappheit ernst nehmen und können die massenindustrielle Überfüllung und Vermüllung unserer Welt nicht mehr als gegeben oder unvermeidlich akzeptieren. Das bedeutet, den Beruf, dem wir nachgehen, nicht mehr zur Selbstverwirklichung im Sinne öffentlicher Widerspiegelung auszuüben. Es kann nicht mehr darum gehen, mit Blick auf die zukünftige Auratisierung unserer Entwürfe zu gestalten (vgl. Zitzlsperger 2021), bei den nächsten IF- oder Red Dot-Awards (wahlweise auch in Cannes, beim ADC, anlässlich der Siggraph oder bei der Ars Electronica) in der ersten Reihe zu stehen, sondern darum, unserer Arbeit verantwortungsvoll nachzugehen. Wir befinden uns mitten in einem dramatischen Wandel unserer Existenzbedingungen, den wir selbst mit zu verantworten haben und die Frage nach einer lebenswerten Zukunft wird schon 1966 im Umfeld der von Ihnen zitierten Aussage von Eames gestellt: Denn Allison schreibt, es läge eine enorme Verantwortung auf uns Designern, eine bewohnbare Umgebung für die zivilisierte Menschheit zu schaffen (Allison 1966: 29, zitiert nach: Köck 2021: 222). Eames zeigt schon 1960 (vor dem Club of Rome und vor Papanek) schmerzlich genau die Probleme unserer Zunft an, mit denen wir uns noch heute im Wege stehen:
Wir streben nach mindestens öffentlicher oder sogar künstlerischer Anerkennung unserer Entwürfe, wo es um Funktionserfüllung geht …
und bemühen uns fortwährend um stilistische Originalität, um im Umfeld des Mitbewerbs nicht unterzugehen (dabei sind wir als Dienstleister selbstverständlich markenstrategischen Erwägungen und Zielen unserer Auftraggeber in einem massenindustriellen Umfeld unterworfen). Und warum tun wir das? Weil wir diese Systeme der Anerkennung selbst geschaffen und damit eine Idee von Maßstäben der Vorbildhaftigkeit und des Erstrebenswerten in die Welt gesetzt haben. Dieser Druck des Wahrgenommenwerdens wurde mit der Verlagerung der Publikationsmöglichkeiten auf das Individuum selbst ins Extreme potenziert – im Sinne »aktive[r], gewollte[r] Konkurrenz um Aufmerksamkeit« (Reckwitz 2015 in: www.soziopolis.de). Doch muss es auch Zukunft möglich sein, als Designer in einer Parallelwelt zur Prominenz zu existieren und deswegen dennoch nicht professionell deklassiert zu werden – indem das Verschwinden unser Vorbild wird, ohne dass wir es damit durch die Hintertür auf ein neues Siegertreppchen stellen.
Ein Preis für die unauffälligsten Designer wäre die absurdest mögliche Konsequenz …
Der Unterschied ist die Prominenz zweiter Reihe. Ich beziehe mich in meiner Dissertation ja auf Ludes (in: Faulstich und Korte 1997: 91), der herkömmlichen Star-Status mit besonderen persönlichen, körperbezogenen Fähigkeiten verbindet, die sich auch nicht beliebig lange aufrechterhalten lassen. Das Gestalten an sich ist in der Berufsform der Designer*innen eine antrainierte Fertigkeit, die dazu befähigen soll, Artefakten Form zu geben. Werden diese Artefakte bei Wettbewerben eingereicht und prämiert, so entsteht Abglanz-Prominenz: Die Artefakte werden für ihre gestalterische Qualität ausgezeichnet und stehen selbst im Rampenlicht, in dessen Schein die Designer*innen sich dann sonnen können. Die Person hinter dem Artefakt zeichnet sich somit zunächst durch nichts anderes aus als durch (das) ausgezeichnete Artefakt(e).
Ab der ersten Auszeichnung beginnen Designer*innen sich dann in den Augen anderer vermittels der Ansammlung errungener Preise auszuzeichnen und diese Form sozialer Anerkennung von außen – begrifflich als Reputation fixiert – ist nichts, worauf sie persönlichen Einfluss hätten (die »herkömmlichen« Stars übrigens ebenso). Nur in seltenen Fällen werden Ehrenpreise für gestalterische Lebenswerke direkt an Personen verliehen – so zum Beispiel die Lifetime Achievement Medal des London Design Festival: »This award honours an individual who has made significant and fundamental contributions to the design industry over their career« (londondesignfestival.com) [online] https://www.londondesignfestival.com/medals [05.09.2022]. Über diese bedeutenden und wesentlichen Beiträge im Feld der Design-Industrie wird auch in diesem Fall von einer Jury befunden und jener Zyklus kann mit der Einordnung als »Emerging Talent« beginnen – das wird in der Forschung auch als Prominenzierungsspirale bezeichnet (vgl. Wippersberg 2007).
Stardesigner*innen sind als Personen also nur an ihrer von außen zuerkannten Professionalität in Gestaltungsfragen erkennbar – wenn sie das Ergebnis von Jurysitzungen ist, die die Ergebnisse ihrer Arbeit bewertet haben und das dann in Preisen fixieren. Das steht im Gegensatz zur Prominenz aufgrund persönlicher Fähigkeiten wie einer unverwechselbaren Stimme, besonderem schriftstellerischem oder schauspielerischem Talent, der Beherrschung eines Instruments oder sportlicher Begabung – mit der andere bei Wettbewerben tatsächlich direkt (messbar) aus dem Feld geschlagen oder wovon Menschen persönlich affiziert werden (Fans). Wird der Begriff jedoch »einfach so« im (Fach-)Blätterwald verwendet, so ist er noch weiter von einer fassbaren Maßstäblichkeit entfernt als bei jedem offiziell ausgeschriebenen Wettbewerb.
Weil es – zum Glück! – keine Verständigung mit allgemeiner Gültigkeit darüber geben kann, womit solches zu ermessen wäre. Versuche, »durch die Förderung vorbildhafter Produktgestaltung geschmackserziehend auf Hersteller und Verbraucher einzuwirken« (Bräuer 2004: Vorwort), beschäftigten nicht nur den Deutschen Werkbund seit dem Beginn des 20. Jhd.s.
Die Frage nach solcher Vorbildhaftigkeit konnte weder in den Deutschen Warenkunden oder den Deutschen Warenbüchern noch in der Ausprägung »Gute Form« sinnstiftend beantwortet werden …
in ihrer publizistischen Verflachung wird sie es noch weniger. Der Designklassiker nimmt diesen uneinlösbaren Anspruch auf und wird von allen publizierenden Akteuren dort draußen in guter Tradition (…) permanent neu ausgedeutet, indem Artefakte in eigener Deutungshoheit zu »Kultobjekten« erhoben werden. Der Begriff bleibt als Konstante bestehen, auf die man sich beziehen und selbige verwenden kann. Die Annahme einer solchen vor-kanonischen Ausdeutung, ein Sinn-Angebot, wird durch die publizistische Wiederaufnahme an anderer Stelle beglaubigt und verstärkt (vgl. Bonta: 1982) – in einem höchst ungewissen wie intransparenten, nichtöffentlichen Aushandlungsprozess, der in den allerseltensten Fällen auf einer persönlichen Verständigung über geteilte Maßstäbe beruhen dürfte. Breuer hat den sog. »Modernen Klassiker« 2001 in ihrer gleichnamigen Publikation völlig zu Recht als eine Erfindung bezeichnet – deren »ewige Aktualität« wird wohl noch lange fröhliche Urständ feiern.
Das ist (nur) scheinbar leicht und zunächst einmal eine Definitionsfrage: Wir sehen hier nichts als Zuschreibungen, die Artefakten zugewiesen werden. Ihr Unterschied besteht in einer von den Zuschreibenden sprachlich, aber auch von den Gestalter*innen im Entwurf gefassten Gerichtetheit von Entwürfen. Was soll das bedeuten? Entwerfe ich etwas unter dem Primat der Funktionserfüllung (verstanden als Prothese oder Werkzeug – »Alltagsdesign«), mit dem Nutzer einen Teil ihres Alltags meistern können, dann entstehen dabei zumeist Artefakte, die – als Gegenbild zum »Star-Design« verstanden – ihr Gestaltet sein nicht wie eine Monstranz vor sich hertragen.
Sie tun nichts anderes, als unauffällig und unproblematisch zu funktionieren.
Dabei kommt einem – nicht von ungefähr – das Ideologem der guten Form in den Sinn, ohne dass dieses jetzt auch nur ansatzweise einer Kritik unterzogen werden könnte. Das »Star-Design« hingegen lässt sich auf den kürzesten Nenner bringen, wenn wir uns den Ansatz »l’art pour l’art« im Design ausagiert vorstellen: mit Entwürfen, die ihre gestaltete Präsenz mehr feiern als ihren Nutzen, bei denen Abstriche in der Erfüllung ihrer Funktion(en) der reinen Form geopfert werden – das habe ich in meiner Dissertation exemplarisch am Beispiel des Juicy Salif gezeigt. Doch Obacht! Wenn wir uns den Funktionsraum von Artefakten als erweitert vorstellen, dann erfüllt auch der (dann nur scheinbar) funktionslose Entwurf eine (nun soziale) Funktion im Spiel sozialer Positionierung: Indem mit der Anschaffung solcherart »funktionsfreier« Artefakte dem Umfeld demonstriert wird, dass man zu solch einer sinnlosen (?) Geldausgabe in der Lage ist; damit sind wir direkt bei Bourdieu und Veblen angelangt.
Meinen Erkenntnissen nach kann der Begriff »anonymes Design« nicht mehr verwendet werden, weil keines jener als anonym bezeichneten Artefakte wahrhaft unbekannt, ungenannt oder namenlos – und somit anonym – ist. Anonymes Design wird durch die Hervorhebung als solches erst dazu gemacht. Deshalb ist der Begriff Alltagsdesign – oder alltägliches Design – passender. Meine Begründung liegt dann auch in eben jener Alltäglichkeit, die im Gegensatz zur vom Star-Design verkörperten Außer-Alltäglichkeit durch weniger zum Bemerkt werden strebende Produktpersönlichkeiten gekennzeichnet ist ;-)
Dr. Markus Köck
Designtheoretiker, Produktdesigner, Bildender Künstler und Dozent. Seit 1996 freiberuflich tätig. Ausbildung: Triathlon an der HBKsaar vom Erstjahrgang bis zur Promotion. Produktdesign-Studium (bei Harald Hullmann; 1989-Diplom 1994), Bildende Kunst im Bereich Fotografie/Neue Medien/Installation (bei Ulrike Rosenbach und Tamas Waliczky; 1996–1998); 2012 zum Vorlauf zum Promotionsverfahren zugelassen. Auszeichnung mit einem der vier jährlich vergebenen Promotionsstipendien der Hans-Böckler-Stiftung für Forscher über vierzig Jahre – von 2017–2019. Seit 2020 im Fach Designtheorie promoviert (bei Prof. Dr. Rolf Sachsse).
Seit 2018 in der akademischen Design-Lehre unterwegs – bis heute an der Macromedia University of Applied Sciences (Standorte Stuttgart und München): Medien-, Kommunikations- und Informationsdesign sowie Designtheorie und Designmanagement. 2020 und 2021 Lehrbeauftragter an der FH Hamm-Lippstadt: Gestaltungsgrundlagen im Studiengang Electronic Engineering, Objekt- und Raumentwurf im Studiengang Computervisualistik und Design. Seit dem Wintersemester 2021/22 befristete halbe Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Designtheorie und Designgeschichte an der HBKsaar. Langjähriges Mitglied der DGTF, seit 2021 Teil des Vorstands.
Literatur
ALLISON, DAVID HENSEL (1966): Anonymity in Design, Masterarbeit am Department of Art am Graduate College der University of Iowa
BONTA, JUAN PABLO (1982): Über Interpretation von Architektur. Vom Auf und Ab der Formen und die Rolle der Kritik , Berlin: Archibook
BRÄUER, HASSO (2004): Archiv des Deutschen Alltagsdesigns [DVD], Digitale Bibliothek 56, Berlin: Directmedia Publishing
BREUER, GERDA (2001): Die Erfindung des Modernen Klassikers. Avantgarde und ewige Aktualität, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Verlag
RECKWITZ, ANDREAS (2015): [online] https://www.soziopolis.de/die-transformation-der-sichtbarkeitsordnungen.html [05.09.2022]
ZITZLSPERGER, PHILIPP (2021): Das Design-Dilemma zwischen Kunst und Problemlösung, Berlin: Hatje Cantz Verlag