Interview, Schrift, Zukunft

Eine Spekulation über die Schrift der Zukunft

Im Gespräch mit Christian Stindl. Autor von »Script – Über das Wesen der Schrift«.

Script – Über das Wesen der Schrift

Was hat Sie dazu inspiriert, dieses Buch über die Zukunft der Schrift zu schreiben?

Ich hatte immer schon eine große Affinität zu Zeichen und ihrer Systematik. Während meines Studiums der Visuellen Kommunikation mit dem Schwerpunkt Typografie an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel habe ich mich dann intensiv mit dem lateinischen Zeichensystem beschäftigt und einen ersten Ansatz eines alternativen phonetischen Zeichensatzes entwickelt.

Der Impuls für das Schreiben des Buches ist dann allerdings viel später entstanden und hatte seinen Ursprung im Versuch, den Duktus meiner eigenen Handschrift in einer breit ausgebauten Druckschrift, bestehend aus diversen Stilarten, einzufangen. Mein Ziel hierbei war es, lediglich das Grundskelett der einzelnen Schriftzeichen zu erzeugen, um dann hieraus die Konturen der unterschiedlichen Schriftstile (humanistisch, klassizistisch, usw.) generieren zu können.

Die Recherche von bestehenden Projekten und Werkzeugen, die in diese Richtung gehen, bildete schliesslich die Grundlage für meine Entscheidung, diese Inhalte und Überlegungen in einem Buch zusammenzufassen.

Warum ist das lateinische Schriftsystem Ihrer Meinung nach an einem kritischen Punkt angekommen?

Das Buch beruht auf einem spekulativen Ansatz und geht hierbei von der Prämisse aus, dass die Struktur des lateinischen Zeichensystems nicht mit den hiermit abgedeckten Sprachen korreliert. Es ist somit ein strukturell inkonsistentes System, für welches sich gegebenenfalls bessere Optionen entwickeln liessen.

Letztendlich ging es mir um das grundsätzliche Prinzip des Hinterfragens der Dinge (in diesem Fall des lateinischen Zeichensystems), die wir als scheinbar gegeben und unumstößlich ansehen und die damit einhergehende Frage nach potenzieller, substanzieller Innovation.

Einen Aspekt, welchen ich in meinem Buch in diesem Zusammenhang tatsächlich etwas ausser Acht gelassen habe, ist jener der Identifikation. Wir haben uns mittlerweile an die strukturellen Unzulänglichkeiten des lateinischen Zeichensystems gewöhnt und scheuen daher vor zu großen Veränderungen zurück. Daher werden wir wohl noch eine gewisse Zeit lang mit dem lateinischen Zeichensystem auskommen.

Inwiefern beeinflusst die Schrift unser Denken und Handeln in der digitalen Welt?

Der Prozess des Schreibens sowie übrigens auch des Lesens ist zunächst einmal ein von Grund auf lineares Prinzip und in dieser statischen Logik ist unser bisheriges Denken wie auch Handeln eingebettet. Nach Flusser wird dieses lineare Lesen von Texten jedoch durch das unmittelbare Betrachten von Bildern abgelöst.

In diesem Sinne sind wir mit einer neuen Logik der Wahrnehmung wie auch Verarbeitung von Informationen konfrontiert, welche letztlich unser Denken und Handeln maßgeblich beeinflussen und somit nachhaltig verändern wird. Die Möglichkeiten der digitalen Welt potenzieren dabei diese Entwicklung zusätzlich.

Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz bei der Schriftgestaltung der Zukunft?

Ich denke, es wird vor allem darauf ankommen, an welchem Punkt KI-Tools im Verlauf des gestalterischen Prozesses sinnvoll und zielgerichtet eingesetzt werden. Man kann KI etwa als Inspirationsquelle für die konzeptionelle Arbeit einsetzen oder auch als Experimentierwerkzeug im weiteren individuellen Entwurfsprozess verwenden.

Wenn wir KI jedoch als Möglichkeit zur schnellen oder etwa kosteneffizienten Erzeugung von Schriftgestaltung missverstehen, um beispielsweise Lizenzrechte umgehen zu können, steht eine Schwemme an formal-ähnlichen Derivaten bereits existierender Gestaltungsansätze zu befürchten.

Ihr Buch untersucht verschiedene Stadien der Schrift, von der Kalligrafie über Typografie bis hin zu digitalen Innovationen. Wie sieht für Sie die Entwicklung der Schrift in den nächsten Jahrzehnten aus?

Nach Noordzij sind Schriftzeichen das visuelle Resultat von stetig wiederkehrenden, idealisierten Bewegungsabläufen. In dieser Hinsicht skizziere ich in meinem Buch potenzielle Ansätze, auf welchen etwa ein neuartiges Zeichensystem in Zukunft aufgebaut werden könnte.

In der Rückschau der Entwicklung der Schrift zeigt sich, dass sich technologische Innovationen stets auf die formale Ausprägung von Schrift ausgewirkt haben. Gleichermassen war die Schrift aber auch erforderlich, um zu jenen technologischen Neuerungen überhaupt zu gelangen.

Der zentrale Gedanke, welcher mich nun seit geraumer Zeit beschäftigt und welcher letztendlich auch der Auslöser war, dieses Buch zu schreiben, basiert auf der Annahme, dass wir früher oder später an einen Punkt technologischer Weiterentwicklung gelangen, an welchem das bisherige Schriftsystem überflüssig wird.

Wie kann sich die Schriftgestaltung neu ausrichten, um diesen Herausforderungen zu begegnen?

Die formale Gestaltung von Schrift liegt zunächst einmal zu großen Teilen in der individuellen Intension der jeweiligen Designerin bzw. Designers begründet und ist somit Form künstlerischen Ausdrucks.

Ich schätze dabei vor allem das ausgeprägte systemische Verständnis von Schriftgestalterinnen und Schriftgestaltern sehr und ich bewundere gleichsam ihre beharrliche Ausdauer, welche die Entwicklung eines umfänglichen Zeichensatzes erfordert.

Wenn man nun davon ausgeht, dass sich neuartige Technologien stets auch auf die formale Erscheinung von Schrift auswirken, dann würde mich das Ausloten der spezifischen Ästhetiken aktueller technologischer Entwicklungen mehr interessieren als etwa die formale Reproduktion traditioneller Schriftformen mit diesen neuartigen Tools.

Im Hinblick auf eine etwaige Entwicklung eines neuartigen Schriftsystems wäre sicherlich eine interdisziplinäre Kooperation mit Expertinnen und Experten anderer Fachbereiche, wie etwa der Linguistik, unbedingt erforderlich.